Angst, Literatur, Riese, Depression, Zeichnung, Monster

KonkretRieseUngeheuerStimmung

  • Von hochgeladen am 11.02.2006

    >>...währenddessen mich immer allerlei Gedanken stark beschäftigen, weil sich beim Spazieren viele Einfälle, Lichtblitze und Blitzlichter ganz von selber einmengen und einfinden, um sorgsam verarbeitet zu werden, kam ein Mensch, ein Ungetüm und Ungeheuer mir entgegen, der mir die helle Straße fast völlig verdunkelte, ein hochaufgeschossener, unheimlicher Kerl, den ich nur allzu gut kannte, ein höchst sonderbarer Geselle, nämlich der Riese Tomzack. An allen anderen Orten, auf allen andern Wegen eher als hier auf dem lieben, weichen Landweg würde ich ihn vermutet haben. Seine traurige, schauervolle Erscheinung flößte mir Schrecken ein, und sein tragisches, ungeheuerhaftes Wesen nahm alle schöne, helle Aussicht, alle Frohheit und Freude sogleich von mir weg. Tomzack! Nicht wahr, lieber Leser, der Name allein klingt schon nach schrecklichen, schwermütigen Dingen. &#8222;Was verfolgst du mich, was hast du nötig, mir hier mitten auf dem Weg zu begegnen?&#8220; rief ich ihm zu. Doch Tomzack gab mir keine Antwort. Groß, das heißt von hoch oben herab schaute er mich an. Er überragt mich an Länge und Höhe um ein Bedeutendes; neben ihm kam ich mir wie ein Zwerg oder wie ein kleines, armes, schwaches Kind vor. Mit größter Leichtigkeit würde mich der Riese haben erdrücken oder zertreten können. Ah, ich wusste, wer er war. Für ihn gab es keine Ruhe. Er schlief in keinem sanften Bett, wohnte in keinem wohnlichen, heimeligen Hause. Er hauste überall und nirgends. Heimat hatte er keine und darum auch kein Heimatrecht. Gänzlich ohne Glück, ohne Liebe, ohne Vaterland und Menschenfreude lebte er. Irgendwelchen Anteil nahm er nicht, dafür nahm auch an ihm und seinem Treiben und Leben niemand Anteil. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft waren ihm eine wesenlose Wüste, und das Leben schien zu gering, zu eng für ihn zu sein. Für ihn existierte keinerlei Bedeutung; doch bedeutete wieder er selbst für niemand irgend etwas. Aus seinen Augen brach Glanz von Unterwelten- und Überwelten-Gram hervor, und ein unbeschreiblicher Schmerz sprach aus jeder seiner müden, schlaffen Bewegungen. Nicht tot, doch auch nicht lebendig, nicht alt und auch nicht jung war er. Hunderttausend Jahre alt schien er mir zu sein, und ferner schien mir, dass er ewigleben müsse, um ewig nicht lebendig zu sein. Jeden Augenblick starb er und vermochte dennoch nicht zu sterben. Für ihn gab es nirgends ein Grab mit Blumen. Indem ich ihm auswich, murmelte ich für mich: &#8222;Leb´wohl und lass`es dir immerhin gut gehen, Freund Tomzack."<<

    (Robert Walser, Der Spaziergang, GW, Band III, S. 229-231).

Titel Für ihn gab es nirgends ein Grab mit Blumen.
Material, Technik Inky auf Maschienenpapier
Format DinA4
Jahr, Ort Würzburg, 2006
Tags
Kategorien
Info 4184 6 6 1 6 von 6 - 2 Stimmen
Stimme zu, um das Taboola Widget (Werbung) zu laden, Hinweise zum Datenschutz zustimmen

Das könnte dich auch Interessieren


Heute Weltelterntag


Heute ist Internationaler Kindertag


Heute ist Sommeranfang meteorologisch

Ausstellungen

Noch bis 04.08 Caspar David Friedrich - Unendliche Landschaften, Alte Nationalgalerie - 📍Standort Bodestraße 10178 Berlin mehr...


Noch nie waren so viele weltberühmte Ikonen des bedeutendsten Malers der Romantik in einer Ausstellung versammelt: Caspar David Friedrichs Werk wird mit 60 Gemälden und 50 Zeichnungen in einer einzigartigen Sonderausstellung präsentiert. Der Maler wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Alten Nationalgalerie wiederentdeckt, nachdem er jahrzehntelang nahezu in Vergessenheit geraten war.



Bisher: 570.001 Kunstwerke,  2.054.475 Kommentare,  457.760.928 Bilder-Aufrufe
Schreib einen Kommentar zum Bild: ‚‚Für ihn gab es nirgends ein Grab mit Blumen.‘‘! kunstnet ist eine Online-Galerie für Kunstliebhaber und Künstler. Hier kannst du deine Kunstwerke präsentieren, kommentieren und dich mit anderen Kreativen austauschen.